Das Institut für Kunstgeschichte AB Christliche Archäologie und Byzantinische Kunstgeschichte und das Studium generale laden in Verbindung mit der Forschungskooperation Byzantinische Archäologie Mainz ein zu folgendem Vortrag im Rahmen des Colloquiums Christliche Archäologie:
Univ.-Doz. Dr. Falko Daim (Mainz)
Des Kaisers ungeliebte Söhne – Awaren und Byzanz in historisch-kulturwissenschaftlicher Perspektive
Mittwoch, 14. Januar 2009, 18.15 Uhr, Hörsaal des Instituts für Kunstgeschichte, Binger Straße 26, 55122 Mainz
Etwa 250 Jahre, von 568 bis gegen 800 n. Chr., bestand im Karpatenbecken das Reich der Awaren. Die Bevölkerung im Awarenreich war zunächst sehr heterogen, bestand aus Romanen, Germanen, Slawen und vielen Zuwanderern aus dem Schwarzmeer-Gebiet und dem heutigen Südrussland. Eine führende Rolle spielten Reiterhirten, deren Lebensform an die trockeneren eurasischen Steppengebiete angepasst war. Sie waren blendende Reiter und Bogenschützen sowie geschickte Taktiker. Die Fertigkeiten, die man für das Leben in der Steppe benötigte, konnten sie auch im Kampf bestens nützen. Bis 626, als sie vergeblich versuchten, das schwer befestigte Konstantinopel einzunehmen, überrannten sie mit ihren Verbündeten die Balkanhalbinsel und machten dabei enorme Beute. Durch die Nähe zum Römischen Reich lernten sie aber auch das Leben und den Luxus in einem hoch entwickelten Staat kennen, und sie übertrugen davon einiges in die awarische Kultur, soweit es nicht ihre Mobilität und ihre Lebensform als Reiterhirten beeinträchtigte.
Die awarische und byzantinische Gesellschaft konnten unterschiedlicher nicht sein. Dennoch sind die beiden Kulturen mehrfach miteinander verzahnt. Rein utilitaristisch sahen die Byzantiner in den Awaren zunächst einen Bündnispartner, den man zur »Befriedung« der Gebiete am Schwarzen Meer nutzen konnte und dafür durch reichliche Goldzahlungen stärkte, doch wurden daraus gefährliche Gegner, die mit allerlei Bundesgenossen fast die gesamte Balkanhalbinsel überrannten und beraubten. Bei der Ausrüstung des awarischen Kriegers holten sich die Byzantiner manche Anregungen.
Die Awaren sahen in Konstantinopel und anderen byzantinischen Städten großartige Architektur und Lebenskomfort. Was wir von der oströmischen Kultur des Mittelalters wahrnehmen, blieb ihnen jedoch weitgehend verborgen. Begehrenswert für sie waren lediglich mobile Repräsentationsmittel, vorzugsweise aus Edelmetall, dann auch Lebensmittel, wie Öl und Wein sowie Gewürze, welche das eigene Lebensmodell nicht in Frage stellten und in dieses eingebaut werden konnten. Der Prozess der selektiven Rezeption kann im Kleinen anhand von Gürtelschmuck demonstriert werden, wo bestimmte Motive übernommen, andere verändert und manche abgelehnt werden, abgesehen davon, dass Technologie als wertsteigernder Faktor bei den Awaren offenbar keine Rolle spielt, in Byzanz aber seit der griechischen Antike Tradition hat.
Die vorgetragene historisch-kulturwissenschaftliche Analyse des wechselhaften Verhältnisses zwischen Awaren und Byzantinern macht neue Facetten des Umgangs unterschiedlicher Entitäten, unterschiedlicher Lebensformen und Wertsysteme im europäischen Frühmittelalter sichtbar und zeigt zugleich einige Möglichkeiten interdisziplinärer Forschung zwischen Archäologie und anderen geisteswissenschaftlichen Disziplinen auf.